In ihrer über 30-jährigen Schauspielkarriere hat Katja Weitzenböck die Branche aus den verschiedensten Blickwinkeln kennengelernt. Ein heikler Punkt für viele Kolleginnen und Kollegen: intime Szenen. Oft fragte sie sich: "Wie kann das besser gehen?" Die Antwort fand sie 2021 beim Ansehen einer Netflix-Serie. Die Liebesszenen waren anders, aussagekräftig, mit augenscheinlich entspannten, offenen Darstellern - dank der Begleitung durch eine Intimitätskoordinatorin, wie ihre Recherche ergab. Kurz darauf absolvierte Katja Weitzenböck die erste Weiterbildung zum Intimacy Coordinator - kurz "IC" - in Deutschland. Seitdem hat sie zahlreiche große TV-Produktionen, wie den "Polizeiruf 110: Funkensommer" oder die ARD-Serie "Herrhausen - Der Herr des Geldes" als IC begleitet. Im Interview spricht die 57-Jährige über Filmküsse, gestohlene Nacktheit und den Willen der Branche zur Veränderung.

teleschau: Frau Weitzenböck, Sie betreuen Liebes- und Sexszenen an Filmsets. Ihre Aufgabe ist es, zu vermitteln: zwischen Schauspielenden und der Regie und auch der Produktion. Warum braucht es Intimitätskoordinatoren am Set?

Katja Weitzenböck: Es gab lange diese Erzählung, "Sex ist spontan". Man dachte, diese spontanen Dinge, die dann passieren, nimmt die Kamera auf, und dann haben wir eine tolle, überzeugende Szene. Das stimmt überhaupt nicht. Bei keinem Kampf würde man zu den Schauspielern sagen: "Jetzt prügelt euch mal! Dann wird das eine tolle Szene." Im Gegenteil. Ein intimer Moment muss übersetzt werden, damit er überzeugend auf das Publikum wirkt. Und gleichzeitig sind Szenen mit Intimität von höchstem psychosomatischen Verletzungsrisiko. Es besteht die Gefahr der Traumatisierung oder Retraumatisierung. Was sich durch klare Kommunikation und Vorbereitung vermeiden lässt.

teleschau: Umso erstaunlicher ist, dass es den Beruf Intimitätskoordination hierzulande erst wenige Jahre gibt, in den USA dagegen schon länger.

Weitzenböck: Dort haben wir eine Schauspielergewerkschaft, die seit vielen Jahren existiert und eine große Macht hat. Und die inzwischen Gesetze geformt hat. In den USA ist es vorgeschrieben, dass sich Genitalien in einer Szene nie berühren dürfen. Intimschutz ist Pflicht. Bei uns liegt es in der künstlerischen Freiheit der Regisseure oder der Schauspielenden zu sagen, "will ich" oder "will ich nicht".

"Meine Arbeit soll Vertrauen aufbauen"

teleschau: Was ist Ihr Hauptanliegen am Set?

Weitzenböck: Meine Arbeit soll Sicherheit und Vertrauen aufbauen. Alle sollen wissen, was sie erwartet, und die Zeit haben, sich zu überlegen, ob sie dem zustimmen oder nicht. Dass ich selbst viele Jahre Erfahrung als Schauspielerin habe, ist ein Mehrwert für alle Beteiligten. Denn man kann ziemlich ins Fettnäpfchen treten, wenn man die Kompetenzen der verschiedenen Gewerke nicht kennt. Wenn man nicht weiß, wann man am besten den Mund aufmacht und wann man am besten die Klappe hält.

teleschau: Warum ist das so schwierig?

Weitzenböck: Die Schauspielerei ist ein prekärer Beruf. Man ist kurzfristig abhängig beschäftigt und mit vielen Personen zusammen, die in der Hierarchie über einem stehen. Das heißt, im Raum, umgeben von diesen Menschen, ist eine freiwillige Zustimmung gar nicht mehr gegeben.

"Ich war oft damit beschäftigt, meine Grenzen zu schützen"

teleschau: Sie sind selbst seit über 30 Jahren Schauspielerin. Wie haben Sie solche Situationen erlebt?

Weitzenböck: Zu Beginn meiner Karriere als Schauspielerin habe ich oft erlebt, dass mit dem Überraschungseffekt gearbeitet wird. Vielleicht ist man einfach davon ausgegangen: "Das werden wir dann am Set klären." Oft war ich damit beschäftigt, meine Grenzen zu schützen. Ich bin dazu übergegangen, mir rotes Klebeband auf die Körperstellen zu kleben, die ich nicht im Bild haben wollte. Weil man mir dreimal gesagt hatte, "nein, man wird nix sehen" - und man hat doch alles gesehen. Dann entsteht gestohlene Nacktheit.

teleschau: Wie vermeidet man solche Situationen?

Weitzenböck: Klare Kommunikation von Anfang an ist das Wichtigste. Es ist nicht so, dass Schauspielende das grundsätzlich nicht machen wollen. Sie müssen nur vorher Bescheid wissen und nicht zum Casting kommen und gesagt bekommen: "Jetzt zieh dich mal aus!" Eine interessante Erfahrung, die ich in meiner Arbeit als IC gemacht habe: Wo Nacktheit aus dramaturgischen Gründen notwendig ist, ist die Bereitschaft von Schauspielenden in der Regel groß. Wenn sie rein voyeuristische Zwecke hat, lässt sich das sehr wohl rauslesen. Dann schrumpft die Bereitschaft, diese Nacktheit zur Verfügung zu stellen.

Wenn Schauspieler "Nein" zu einer Szene sagen

teleschau: Was passiert, wenn an einem Set, an dem Sie arbeiten, ein Schauspieler sagt: "Nein, das spiele ich nicht!"

Weitzenböck: Ich sage: "Der Schauspieler oder die Schauspielerin ist nicht dazu bereit." Und das kommuniziere ich vorneweg an die Regie und die Produktion. Dann frage ich, ob man das Ganze alternativ drehen kann. Sei es, dass der Bildausschnitt kleiner gehalten wird, sodass man den Brustbereich, den Hüftbereich nicht sehen kann, und dass es so aussieht, als wäre derjenige nackt. Es wird die gleiche, gewünschte Geschichte erzählt. Dann statte ich die Darstellenden mit Intimschutzunterwäsche aus, sogenannten Modesty-Garments, die am Körper angeklebt werden können und die aussehen, als wäre der Schauspieler nackt.

teleschau: Wie geht es dann weiter?

Weitzenböck: Vieles kläre ich in den Vorgesprächen mit Schauspielern, Regie, Produktion, Maske, Kostüm usw. Dann gibt es eine Vorabprobe, in der gemeinsam erarbeitet wird, wie die Bewegungsabläufe stattfinden. Sowohl die Vorgespräche als auch die Vorabprobe werden dokumentiert. Das ist übrigens eine ganz wichtige Säule von Intimitätskoordination. Sie ist auch ein Schutz für die Produktion, falls es im Nachhinein Differenzen geben sollte. Dann kommt es zum Drehtag. Selbst wenn es dann noch einige Anpassungen gibt, wissen alle, was sie erwartet. Vor allem ist es ein Mehrwert für alle, wenn eine neutrale Person da ist.

Kussszene mit oder ohne Mundspülung - ein Riesenunterschied

teleschau: Inwiefern?

Weitzenböck: Es macht beispielsweise einen Riesenunterschied, ob man eine Kussszene mit oder ohne Mundspülung dreht. Wenn ich als Schauspielerin sagte: "Äh, wollen wir mal Kaugummi machen?", kam schnell: "Oh Gott, bist du kompliziert!". Es wird sofort persönlich. Wenn ich als IC sage, "So, bevor geküsst wird, verteile ich Mundspülung", dann können sich die Schauspieler trotzdem noch weigern. Aber es ist viel leichter, das anzunehmen. Zumindest bleibt der Unmut an mir hängen. Und nicht unter Kollegen.

Die unbewusste Botschaft bei Vergewaltigungsszenen

teleschau: Wie bereiten Sie die Beteiligten auf Szenen mit Gewalt und Missbrauch vor?

Weitzenböck: Szenen mit sexualisierter Gewalt, gerade auch mit vielen Schlägen, kann und will ich nicht alleine verantworten. Dann wird zusätzlich eine Stunt-Koordination hinzugefügt. Viele solcher Szenen sind übrigens eine gute Gelegenheit, mal die Verabredung der filmischen Erzählung zu hinterfragen: Es gibt Vergewaltigungsszenen, bei denen das Dekolleté der Frau gezeigt wird. Die Zone, die übergeht in den Po, das wird gerne in Einzelteilen gezeigt. Die unbewusste Botschaft ist: "Wer kann so viel Schönheit schon widerstehen?" Könnte man nicht in einer Vergewaltigungsszene mal den Täter zeigen? Und nicht den Körper des Opfers auch noch zum Opfer machen, indem er exponiert wird?

teleschau: Ist diese Darstellung dem oft zitierten "male gaze" - dem männlichen Blick - geschuldet?

Weitzenböck: Die Filmindustrie ist stark vom "male gaze", vom männlichen Blick, geprägt. Das beginnt schon damit, dass Gesichter je nach Geschlecht unterschiedlich beleuchtet werden: Männliche Gesichter werden markant gezeigt, dreidimensional. Weibliche Gesichter werden als schön bezeichnet, wenn sie zweidimensional, ganz flach beleuchtet werden, ohne Hügel und Linien. Und das in erster Linie total unbewusst für die Zuschauenden. Die Frau hat hübsch, makellos, jung, knackig zu sein, hat Angst vor dem männlichen Täter - und wird eben auch in vielen, vielen Krimis zum Opfer des männlichen Täters. Das ändert sich jetzt langsam. Jetzt gibt es auch weibliche Täter im TV, auf der Leinwand zu sehen.

Vorbereitung in der Schauspielausbildung? Fehlanzeige.

teleschau: Wie wird oder wurde man früher an Schauspielschulen auf intime Szenen vorbereitet?

Weitzenböck: Gar nicht. Es wurde nicht darüber gesprochen, dass die sexuelle Selbstbestimmung im Grundgesetz verankert ist. Und unantastbar ist - genauso wie die Würde des Menschen. Es wurde in Schauspielschulen früher ganz deutlich daraufhin ausgebildet, Ja zu sagen. Die Definition des Schauspielerberufs war es quasi, über die eigenen persönlichen Grenzen hinauszugehen. Das ist einer der Gründe, warum ich angefangen habe, IC für Schauspielende zu unterrichten. Ich gebe ihnen Kommunikationswerkzeuge mit, ihre Grenzen so zu formulieren, dass sie damit niemanden angreifen. Ich bekomme viele Rückmeldungen, dass das ein Gefühl von Selbstermächtigung gibt.

teleschau: Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrer Arbeit am Set? Kracht es auch mal, wenn Sie Vorschläge machen, eine intime Szene anders zu drehen, als sie im Drehbuch steht?

Weitzenböck: Nein, im Gegenteil. Wenn eine Filmproduktionsfirma mich engagiert, dann ist sie ja schon den Schritt gegangen, zu sagen: Wir möchten, dass sich die Schauspielenden wohlfühlen, nicht ausgeliefert fühlen. Wir möchten die Schauspielenden schützen. Ich erfahre eine große Offenheit, wenn ich solche Fragen stelle, sich das neu zu überlegen, das anders zu machen. Die Bereitschaft gerade der jüngeren Filmschaffenden ist groß, die Branche zu verändern.