Bastian Pastewka: "Ich bringe eine Physiognomie mit, die der des Spießers entspricht"

Demnächst in "Alles gelogen" (ZDF) Bastian Pastewka legt in zwei Rollen den deutschen Spießer und Schwindler unters Brennglas: Im Film "Alles gelogen" fürs ZDF und in der Amazon-Serie "Perfekt verpasst" mit Anke Engelke. Was ist so faszinierend an jenen "Pastewka-Typen", die der 52-jährige Comedian immer wieder spielt?

Bastian Pastewka liebt seine Paraderolle. Es ist die des deutschen Spießers, der sich durch seinen Alltag flunkert. So entstand in der ersten Zusammenarbeit des 52-jährigen Comedians mit "Stromberg"-Autor Ralf Husmann die ZDF-Komödie "Alles gelogen" (Donnerstag, 5. September, 20.15 Uhr). Dazu startete im August Pastewkas erste Serie mit seiner kongenialen Kreativpartnerin Anke Engelke. In "Perfekt verpasst" (Amazon) geben sich die beiden der Tragikomik und Melancholie einer reiferen Partnersuche hin.

teleschau: Männer, die sich in Lügen verstricken, spielen Sie seit langem - und immer wieder. Woher kommt die Besessenheit von diesem Typ Mensch?

Bastian Pastewka: Ich mag Komödien, in denen der Hauptfigur möglichst viel zustößt. Man kann in einem Satz erklären, worum es in "Alles gelogen" geht: Hajo, ein Mann, der in einem Autohaus arbeitet, schummelt, indem er sagt, seine Frau sei gestorben - obwohl sie noch lebt. Damit man Mitleid mit ihm hat und ihn nicht feuert.

teleschau: Aber wie absurd ist diese Lüge! Kennen Sie Menschen, die so etwas sagen würden?

Pastewka: Ich glaube schon, dass es die gibt. Man sollte kein Mitleid mit den Hajos dieser Welt haben, auch wenn er per se kein schlechter Mensch ist. Er lebt über seine Verhältnisse und verstrickt sich dadurch in Widersprüche und Schwierigkeiten. Solche Typen kennen wir doch alle. Ein Freund von mir konnte seine Miete nicht mehr bezahlen und wurde vom Vermieter vor die Tür gesetzt. Ein paar Freunde halfen ihm beim Umzug, aber seine Idee war: Den Keller räume ich nicht aus, denn den hat man mir ja nicht gekündigt. Da kann ich doch noch ein paar Sachen lagern (lacht). Dahinter steckt eine Spielernatur: "Ich habe gerade einen Arschtritt bekommen, aber der war doch nicht für mich bestimmt!"

"Selbst bin ich eher immun gegen Tricksereien als Lebensprinzip"

teleschau: Sie meinen, es gibt Menschen, die ihre Realität ignorieren oder zumindest stark umdeuten. Steckt in Ihnen auch ein bisschen so ein Mensch?

Pastewka: Nein, überhaupt nicht. Ich interessiere mich nur für solche Figuren. Selbst bin ich eher immun gegen Tricksereien als Lebensprinzip. Irgendwann werden die Verpflichtungen nämlich so groß, dass man ihnen nicht mehr nachkommen kann. Man geht unter im Chaos der Widersprüche. Dies ist das Tragikomische, was im Film auch Hajo passiert.

teleschau: Reden wir über jenen Menschentypen, bei dem fast immer die anderen an allem schuld sind?

Pastewka: Es gibt zumindest deutliche Überschneidungen. Zum Beispiel Leute, die immer sagen: das schlimme Finanzamt! Ich werde immer skeptisch, wenn ich diesen Satz hören. Dass wir nur Steuern zahlen müssen auf das, was wir vorher verdient haben, ist der Deal unserer in weiten Teilen doch recht gut funktionierenden Gesellschaft. Das sollte doch jedem vorher klar gewesen sein. Ich finde es nicht in Ordnung, wenn wir von Kavaliersdelikten und Schummeleien reden, die wir für selbstverständlich halten.

teleschau: Setzen sich die individuellen Schummeleien auch in den Institutionen fort?

Pastewka: Es gibt ein Beispiel, den sogenannten Cum-Ex-Skandal. Es ist der größte Steuerbetrug aller Zeiten, und man entschuldigt sich damit, dass man doch nur eine Lücke im Gesetz entdeckt hätte. Es wurden Steuern in einer Höhe hinterzogen, wo es einem ganz schwindelig wird. Und gleichzeitig beschwert man sich, dass das Bürgergeld vielleicht 20 Euro zu hoch angesetzt wurde. Ich finde, wir haben kein gesundes Verhältnis zu Verpflichtungen, die mit Solidarität einhergehen.

"Ich sehe halt so aus, wie ich aussehe"

teleschau: Ist die Lüge ein Phänomen unserer Zeit? Wird mehr geschummelt als früher?

Pastewka: Das glaube ich nicht. Bleiben wir mal beim Schummeln, denn Lüge ist ein großes Wort. Wir Menschen schummeln uns oft durch den Tag. Man trifft jemanden auf der Straße und denkt: Oh, ich habe jetzt nicht die Zeit für ihn, also erfinde ich eine Ausrede, damit ich schnell weiter kann. Ich glaube, dass viele Menschen - auch ich - Gefahr laufen, dass solche Vorgehensweisen möglicherweise zum automatischen Dauermodus werden. Aber jemanden anzulügen und eine Unwahrheit auch zu dessen Schaden auszusprechen, ist noch mal ne ganz andere Nummer. Beides sehe ich aber individuell und nicht im Zeitgeist verankert. Ich glaube, dass es vor allem die Allerweltsschummler immer schon gegeben hat.

teleschau: Sie haben Lügner wie Hajo aus "Alles gelogen" als Spielernatur bezeichnet. Solche Typen stellt man sich eher als tollkühn vor. Sie verkörpern aber - mal wieder - einen Spießer. Passen Spieler und Biedermann besser zusammen, als man denkt?

Pastewka: Sie spielen darauf an, dass ich häufig Spießer spiele. Das stimmt, aber der Spießer in mir ist mir nicht hundertprozentig klar. Vielleicht liegt es daran, dass ich eine Physiognomie mitbringe, die der des Spießers entspricht. Ich sehe aus wie ein Durchschnittsmensch, deshalb tauge ich nicht fürs klassische Heldenbild. Ich sehe halt so aus, wie ich aussehe. Dafür kann ich nichts, es ist kein Talent. Ich vermute aber, dass mir das Publikum deshalb in diesen Rollen folgt.

teleschau: Ist der deutsche Spießer für Sie etwas Einzigartiges?

Pastewka: Spießer gibt es überall. Ich denke aber, der Prototyp des deutschen Spießers wurde in den 50er-Jahren geboren. Damals ereignete sich das Wirtschaftswunder. Wir waren wieder wer und Status wurde auf einmal sehr wichtig: Was für ein Haus baue ich? Welches Auto können wir uns leisten? Wie sind wir als Familie angezogen, was kommt auf den Tisch? Damals wurde viel ausgestellt - und natürlich auch geflunkert. Eine prima Ablenkung von dem, mit dem man sich eigentlich hätte beschäftigen sollen. Der Aufarbeitung dessen, was wir furchtbares getan haben und was uns passiert ist.

"Wir wollten eine Mischung aus Wimmelbild und Romantik"

teleschau: Sie haben für "Alles gelogen" zum ersten mal mit Ralf Husmann gearbeitet, dem Autor hinter "Stromberg". Eigentlich seltsam, das es erst jetzt passiert ist ...

Pastewka: Ralf hatte mir vor sechs Jahren von der Idee eines Lügners erzählt, der es eigentlich gut meint, sich aber immer tiefer in ein Drama verstrickt. Das fand ich super. Doch dann dauerte es ein bisschen, bis wir "Alles gelogen" umsetzen konnten. Ich kenne Ralf seit Jahrzehnten. Wir arbeiteten beide lange in den Büros der Kölner Firma Brainpool. Da wurde damals "Die Harald Schmidt Show" gemacht, mit Anke Engelke habe ich dort aber auch "Die Wochenshow" produziert. Später schrieb Ralf Husmann "Stromberg" oder "Dr. Psycho" - und ich arbeitete zwei Gänge weiter an meiner Sitcom "Pastewka". Wir trafen uns oft auf den Fluren der Firma. Es ist in der Tat seltsam, dass es so lange gedauert hat, bis wir tatsächlich mal was zusammen machen.

teleschau: Mit Anke Engelke, ihrer langjährigen Partnerin aus vielen Formaten, haben sie gerade ihre erste gemeinsame Serie bei Amazon gemacht: In "Perfekt Verpasst" laufen zwei Singles über 50 in einer Kleinstadt ständig aneinander vorbei. Die Serie bekommt sehr gute Kritiken ...

Pastewka: Wenn es so ist, dann freut es mich sehr. Wir wollten eine Mischung aus Wimmelbild und Romantik. Ein Slapstick des Verpassens bieten, aber auch die echten Befindlichkeiten rund um eine Partnersuche in diesem Alter zeigen.

teleschau: Warum spielt die Serie in Marburg?

Pastewka: Anke Engelke und ich hatten die Grundidee zu dieser auf links gedrehten Rom Com schon 2020, auch wenn wir die Ausarbeitung danach Drehbuch-Profis überlassen haben. Auf unserem Flipchart stand von Beginn an: Marburg. Einfach, weil wir wussten, die Stadt ist in ihrer historischen Oberstadt so pittoresk und gleichzeitig so eng und überschaubar klein, dass es dort eigentlich unmöglich ist, sich nicht über den Weg zu laufen.

"Viele Menschen wissen nicht mehr, wer sie sind, wenn das erste Kind kommt"

teleschau: In der Regel zeigen Rom Coms junge Erwachsene, die gefühlt nach dem Ende des Films in die Familiengründung aufbrechen. Sie erzählen von zwei älteren Protagonisten. Was verändert sich dadurch?

Pastewka: Anke spielt eine Frau, die sich ihren großen Lebenstraum, Schriftstellerin zu werden, nicht erfüllen konnte. Ich spiele jemanden, dessen Familie zerbrochen ist und der das nicht akzeptieren kann. Figuren dieses Alters bringen mehr mit als Menschen in ihren 20-ern oder mit Anfang 30. Da ist ja noch viel möglich. Unsere Protagonisten hingegen wissen: Ich habe Aufgaben zu lösen, es ist nicht alles toll. In der klassischen Rom Com wird mir zu oft suggeriert, dass das Leben perfekt wird, wenn man nur den richtigen Partner oder die richtige Partnerin findet. Am Ende heiraten Hugh Grant und Drew Barrymore. Doch dann ist das Leben ja noch nicht zu Ende.

teleschau: Was passiert denn danach?

Pastewka: Viele Ehen haben etwas Dysfunktionales, wie die hohen Scheidungsraten und auch Erfahrungen im Freundes- und Bekanntenkreis zeigen. Gerade dann, wenn die Kinder größer werden, zeigen sich Risse. Viele Paare fragen sich dann, ob sie noch viel gemein haben, wenn die Kinder nach 20 Jahren aus dem Haus sind. Wie wird man miteinander alt, wenn die wichtigste Aufgabe, nämlich Mutter und Vater zu sein, mit einem Schlag wegfällt? Viele Menschen wissen nicht mehr, wer sie sind, wenn das erste Kind kommt. Weil die Menge an Verantwortung sich über alles andere legt. Beispiele dafür gibt es viele - und auch davon wollten wir erzählen.

"Das Drama wird nicht durch die Komödie vereitelt ..."

teleschau: Gibt es überhaupt Chancen, eine Rom Com mit 50-Plus zu erzählen oder sie zu erleben?

Pastewka: Ja und nein. Ja, weil Liebe und sich Verlieben in jedem Alter möglich ist. Nein, weil Menschen nicht unmittelbar dadurch gerettet werden, weil sie sich "daten". Der vermeintlich perfekte Partner ist nicht immer die beste Antwort auf das Leben. Obwohl viele Menschen nach dieser Idee leben. Irgendwann ist man dann aber zu alt, um sich noch mal neu zu erfinden. Dann denkt man sich: Ich kann doch jetzt nicht der nächsten Person wieder meine alten Geschichten erzählen. Geschichten, mit denen ich meine Partner vor 25 Jahren beeindruckt habe. Sich von so etwas zu lösen, erfordert Mut und viel Arbeit an sich selbst.

teleschau: Trotz dieser Themenschwere ist "Perfekt Verpasst" eine leichte, ja heitere Serie mit nachdenklichen Momenten geworden. Wie haben Sie das geschafft?

Pastewka: Vielen Dank fürs Kompliment. Das Drama wird nicht durch die Komödie vereitelt, sondern oft wird das Drama durch das Drama selbst vereitelt. Ich finde es deshalb super, wenn die Form der Erzählung eine leichte Komödie darstellt, aber der ernste Kern des Ganzen gratis mitgeliefert und möglicherweise gar nicht sofort vom Publikum erkannt wird. Wir haben ihn offenbar perfekt versteckt.



  Newsletter abonnieren

Euer News-Tipp an die Redaktion